Abschlussarbeit zu Voraussetzungen und Bedingungen für die Einführung
Johanna Mehler hat in der Abschlussarbeit ihres Lehramts-Studiums zu den strukturellen und personellen Gelingensbedingungen für die Einführung des Klassenrats geforscht. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit und die im Prozess gewonnen Erkenntnisse gesprochen.
„Ich hatte das Gefühl, der Klassenrat verbindet sehr viele Akteur:innen in ihren Zielen und Tätigkeiten verglichen mit anderen Konzepten, die eher punktuell ansetzen.“ Der Klassenrat habe anfangs auf Johanna gewirkt, „wie eine abgegrenzte Methode, bei der ganz klar ist, was man da macht.“ Dennoch zeigten sich in der Praxis zum Teil große Unterschiede in den Zielvorstellungen der Beteiligten und den Ergebnissen bei der Implementation. Diese Diskrepanz habe sie fasziniert.
Johanna ist als Schülerin selbst nicht mit dem Klassenrat in Berührung gekommen. Später, im Rahmen ihres erziehungswissenschaftlichen Studiums engagierte sie sich in der Hochschulpolitik und fragte sich, wie eigentlich die Schule dazu beitragen könne, Menschen auf die Partizipation an demokratischen Prozessen vorzubereiten. Kurz vor dem Ende ihres Studiums, in einem Wahlmodul zu „Demokratiebildung und Zivilgesellschaft“ wurde diese Frage dann schließlich auch akademisch erörtert. Dort stieß Johanna erstmals auf das Konzept des Klassenrats.
Die Einführung des Klassenrats in ein Schulsystem sei jedoch etwas gewesen, was in der Forschung noch nicht näher beleuchtet wurde:
- Wie fängt man da an?
- Welche strukturellen Bedingungen sollten vorherrschen?
- Gibt es genug Zeit und Geld dafür?
- Welche Vorerfahrungen bringen die beteiligten Personen mit? Und wie wirkt sich all das auf die Implementierung aus?
Johanna entschied sich diesen Fragen in ihrer Abschlussarbeit nachzugehen.
Aufgrund der Corona-Pandemie konnte sie nicht live bei einer Durchführung des Klassenrats dabei sein. Daher konzentrierte sie sich darauf leitfadengestützte Interviews mit Lehrkräften, Akteur:innen aus zivilgesellschaftlichen Unterstützungssystemen und Verterter:innen von Schulämtern zu führen. Dabei suchte sie auch gezielt nach Personen aus unterschiedlichen Bundesländern, in denen der Klassenrat eingesetzt wird, um ggf. einen unterschiedlichen Umgang feststellen zu können.
Per Schneeballeffekt fanden sich Interviewparter:innen aus Berlin-Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen. Mit ihnen sprach Johanna über ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Klassenrat. Welche Aspekte finden sie am wichtigsten, damit eine Einführung gut gelingt: Ist es eher das Vorwissen der Lehrkräfte oder ihre Offenheit etwas Neues zu probieren? Oder ist die Struktur an der Schule entscheidender? Wie sehen sie Evaluierungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten? Die Interviewpartner:innen konnten ihre Antworten entsprechend gewichten. Darauf basierend nahm Johanna eine Einordnung der theoretischen Grundlagen vor.
Heraus fand sie, dass die Institutionalisierung auf Landesebene entscheidend zum Gelingen des Klassenrats beiträgt, da sie Einfluss auf die Einstellungen der Menschen hat, die in den Bundesländern arbeiten. Insbesondere die klare Definition der Ziele, die mit dem Klassenrat verfolgt werden, schaffe wichtige Vorausetzungen. Denn unklare Vorstellungen darüber, was mit dem Klassenrat erreicht werden soll, stellen in der Alltagspraxis eine übliche Herausforderung dar. Während für einige Akteur:innen mit der Einführung des Klassenrats die Stärkung der Kinderrechte und die Förderung der Teilhabe der Schüler:innen im Fokus stehen, wird es von anderen eher als ein Instrument zur Verbesserung des Schulklimas oder gar zur Ausbildung individueller Kompetenzen und zur Persönlichkeitsentwicklung betrachtet. Mehr Austausch zwischen den Beteiligten über die Ziele und Inhalte könne mehr Klarheit für die Einführung schaffen.
Weiterhin komme es auf finanzielle Ressourcen und die zeitliche Komponente an. Den Klassenrat einzuführen sei schwer, wenn es keine designierten Zeiträume dafür gebe. Denn in der Schule gelte meist: Was keinen festen Platz im Zeitplan habe, habe auch keine Priorität und werde als nicht so wichtig eingestuft, so die in der Studie Befragten. Entscheidend für ein Gelingen des Klassenrats sei außerdem, dass genug finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um den Lehrkräften auch außerschulische Unterstützung zur Seite stellen zu können.
Wie Johanna selbst aus ihrem Studium berichten konnte, werden die Lehrkräfte aktuell nicht ausreichend für die praktische Umsetzung derartiger Methoden ausgebildet.Fort- und Weiterbildungen können diese Wissenslücken in der Zukunft ausgleichen. Doch die Ergebnisse von Johannas Untersuchung legen nahe, dass schon jetzt ein Mehrwert für Lehrkräfte geschaffen werden sollte, die den Klassenrat durchführen, indem sie Ressourcen und personelle Unterstützung von außen bekommen. Es sei anspruchsvoll unter aktuellen Bedingungen den Klassenrat in den Schulalltag zu integrieren. Die außerschulischen Anbieter:innen brächten jedoch viel Erfahrung, Flexibilität und ein riesiges Know-How mit, da sie sich täglich mit dem Klassenrat beschäftigen. Kooperationen dieser Art können daher eine große Bereicherung sein, auch für die Lehrkräfte und Schulen. Momentan kämen sie aber häufig nur aufgrund des Engagements von Einzelpersonen zustande.
Ginge es nach Johanna, würde flächendeckend sichergestellt, dass genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um solche Kooperationen zum Alltag werden zu lassen. Es wäre wünschenswert, wenn sichergestellt werden könnte, dass Schüler:innen auch bei einem Wechsel auf eine andere Schule oder sogar in ein anderes Bundesland weiterhin von den Vorzügen des Klassenrats profitieren könnten und die partizipative Praxis im Sinne eines demokratischen Miteinanders kontinuierlich erhalten bliebe. Eine außerschulische Beschwerdestelle könnte, Johannas Erkenntnis nach, außerdem eine sinnvolle Maßnahme gegen die Abhängigkeit der Schüler:innen von Lehrkraft und Schulleitung darstellen.
Welche Funktion haben die Klassensprecher:innen im Klassenrat?
In unseren “Fragen und Antworten zum Klassenrat” gibt es mehr dazu!